Keinen falschen Ehrgeiz auf der Yogamatte

Ein Kommentar von Bernhard Ramster

Am Wochenende habe ich ein Interview mit einem Berliner Unfallchirurgen gelesen, das mich an ein Zitat von Kurt Tucholsky erinnert hat: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.“ Was bedeutet das für das Üben auf der Yogamatte?

Dr. med. Günter Niessen, der als Orthopäde und Unfallchirurg arbeitet, setzt Yoga auch therapeutisch ein. In seiner täglichen Arbeit als Mediziner kommt er allerdings immer wieder mit Yogis in Berührung, die sich auf der Yogamatte verletzt haben. Teilweise ernsthaft verletzt. Wie kann das sein? Yoga ist doch gesund, wird sogar von Krankenkassen mitfinanziert.

Der Mediziner berichtet von zu viel Ehrgeiz und teilweise schlecht ausgebildeten Yogalehrern. Wir entkommen also anscheinend dem Leistungsdenken auch auf der Yogamatte und dem Meditationskissen nicht. Wie auch: Es gibt keinen Schalter, den wir nach Belieben umlegen können. Dieses Phänomen sehen wir ja auch in anderen Bereichen des Lebens, Stichwort Helikopter-Eltern.

Was auf der Yogamatte wirklich wichtig ist

Ich erinnere mich an Yogastunden, in denen ich auf der Yogamatte definitiv „zu weit gegangen“ bin. Mein Kopfstand war noch viel zu wackelig, um ihn so lange zu halten. Aber da ist eine innere Stimme, die sich wie damals mein Trainer beim Fußball anhört: „Komm’ schon, ausruhen kannst du dich auf der Ersatzbank.“

Ganz unschuldig war die Yogalehrerin in dieser Situation aber auch nicht. Sie hätte von Anfang an klarstellen müssen, was im Yoga beim üben auf der Yogamatte wirklich wichtig ist. Ich bin der Meinung, dass ein Lehrer/Trainer/Coach einen klaren Rahmen stecken muss: Was ist erlaubt, was ich ist nicht erlaubt. Mit welcher inneren Einstellung üben wir heute.

Dr. Niessen zitiert einen Yogalehrer, der gesagt haben soll: „Nur im Lotussitz kannst du richtig meditieren.“ Das ist idiotisch. Das ist gefährlich. Nicht nur auf einer körperlichen Ebene, sondern auch auf spiritueller Ebene. Da wird nicht nur das Leistungsdenken der westlichen Gesellschaften übertragen, sondern es wird auch etwas betrieben, was ich als Guru-Anmaßung bezeichne. Da gefällt jemanden das Machtgefühl, mit dem ihn die Gruppendynamik ausstattet. Sekten können ein Lied davon singen. Unsere Antwort darauf sollte sein: „Wer bist du, mir solche Ansagen zu machen?“

Der Unfallchirurg zählt in dem Interview auch auf, welche körperlichen Symptome ihm typischerweise immer wieder bei Yogaübenden begegnen. „Bei den Knien ist es oft der Innenmeniskus, bei den Schultern die Bizepssehne, im unteren Rücken und im Nacken kommt es auf der Yogamatte zu Zerrungen und Bandscheibenvorfällen. Gelegentlich sind die Hand- und Fingergelenke durch das viele Stützen stark belastet.“

Leider ist es auch überhaupt nicht hilfreich, wie uns Yoga mittlerweile verkauft wird. Im Internet ist ja schon die Rede vom Yoga-Porn. Männer und Frauen, die „Yoga posen“ – am liebsten vor exotischen Kulissen. Das mag ästhetisch sehr attraktiv sein, vermittelt uns aber meiner Meinung nach ein komplett verqueres Bild vom Yoga. Und als Menschen sind wir evolutionär darauf programmiert, uns zu vergleichen. Der Punkt ist nur: Du kannst einen Yogi weder an seiner Dog-Pose noch an seinen Yogaklamotten oder seinem Instagram-Profil erkennen.

Bleibt also im Grunde nur, einen kühlen Kopf zu bewahren, Vorsicht bei der Wahl der Yogalehrer/in walten zu lassen und auf seinen Körper zu hören – und wenn der sagt Feierabend, dann sollten wir das nicht ignorieren und mit den Übungen auf der Yogamatte aufhören.

6 Replies to “Keinen falschen Ehrgeiz auf der Yogamatte

  1. Um es auf den Punkt zu bringen:

    Yoga ist weder Sport noch Therapie. Yoga hat weder mit Leistungsdenken (höher, schneller, weiter) zu tun noch mit Wollsöckchen-, Plüschdecken- und Wellness-Romantik. Beide (weit verbreiteten) Ansätze, „Yoga“ zu praktizieren, führen in die genau entgegengesetzte Richtung dessen, was Yoga ist. Die eine führt in eine bunte (den Status-Quo festigende) Phantasiewelt, die andere zu Verhärtung und im schlimmsten Fall zu Verletzung.

    Ich erinnere mich an den Film mit dem berührenden Titel „Der Atmende Gott“. Auf der Rückseite der DVD-Schachtel stand der wunderschöne Satz: „Yoga ist Konzentration bis an die Grenze des Möglichen.“

    Yoga ist eine in Jahrtausenden immer weiter entwickelte Wissenschaft zur Kultivierung (NICHT Naturierung) von Körper UND Geist. Die erste von Patanjali in den Yoga-Sutras formulierte (und für eine fruchtbare Praxis unabdingbare) Grundhaltung lautet „Ahimsa“ – Gewaltlosigkeit – auch und zuerst sich selbst gegenüber (1. Yama). Eine weitere unverzichtbare Grundhaltung lautet „Samtosa“ (2. Niyama) – Bescheidenheit, Genügsamkeit. Wenn die Yogis und Yoginis dieser Welt nur diese beiden Tugenden entwickeln würden, wäre die Verletzungsgefahr gebannt. Fast will es scheinen, als hätte der alte Patanjali geahnt, wer 2.000 Jahre später in seinem Namen auf die Matte geht.

    Iyengar hat auf seine unnachahmlich aphoristische Weise den Weg des Yoga definiert: „… der Weg, der den Körper und die Sinne kultiviert, den Verstand verfeinert, den Intellekt bildet und in der Seele, dem Kern unseres Seins, zur Ruhe kommt.“ (B. K. S. Iyengar, Der Baum des Yoga)

    Wenn ich Asana und Pranayama als rein körperliche Disziplinen praktiziere, lande ich nicht im Yoga, sondern in der Sackgasse.

    1. Gewaltlosigkeit, Bescheidenheit und Genügsamkeit sind Tugenden, die uns in unserer Leistungsgesellschaft immer wieder begegnen, aber dem leistungsorientierten Denken gleichzeitig widersprechen. Möge allen Yogis und Yoginis dieser Widerspruch gewahr werden und ihnen die Essenz des Yoga vergegenwärtigen und im eigenen Leben einwenig näher bringen.

  2. Mit Achtsamkeit und Präsenz Yoga üben. Dann wird es bestimmt weniger Verletzungen geben. Jede(r) Yogalehrer(in) sollte es in jeder Unterrichtsstunde wieder ansprechen , bzw auch darauf achten, dass die Schüler achtsam und präsent üben. Natürlich trägt jeder auch eine Eigenverantwortung und muss selber die eigenen Grenzen erkennen.

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