Das Yogasutra für dich unter der Lupe – Teil 2

Letzte Woche sind wir ein gutes Stück zusammen auf dem Ashtanga Marga gegangen. Wir haben die äußeren Glieder des Pfades – Bahiranga – kennengelernt. Nun wissen wir, wie wir mit unserer Umwelt und uns selbst ins Reine kommen können, so dass wir uns ganz auf unser inneres Ziel, die Selbsterkenntnis konzentrieren können. Wir haben unseren Körper durch das regelmäßige Praktizieren von Asanas und Pranayama auf die Meditation vorbereitet, um uns jetzt die inneren Glieder – Antaranga – genauer anzusehen.

Pratyahara und Samyama

Wer von euch regelmäßig meditiert weiß, dass es nicht so einfach ist eine Meditationsroutine zu entwickeln. Für die meisten von uns ist es unglaublich schwer, unsere Gedanken zu beruhigen, unser Monkey Mind vom ständigen Toben abzuhalten. Wie können wir also anfangen, ohne uns direkt zu überfordern oder zu frustrieren? Patanjali hat hier einen Vorschlag für uns. Über das Zurückziehen der Sinne (Pratyahara) können wir schrittweise zu Samyama, also der meditativen Versenkung gelangen.

Pratyahara–das Zurückziehen der Sinne

Das fünfte Element des Ashtanga Marga bedeutet so viel wie „die Sinne zurückziehen“, oder „sich zurückziehen von dem, was mich nährt“ oder aber auch „fasten“. Im ersten Schritt hin zur Meditation machen wir uns frei von äußeren Sinneseinflüssen. Wir suchen einen Ort auf, an dem wir auf dem Meditationskissen sitzend oder auf der Yogamatte liegend ohne Ablenkung sein können. Wir versuchen, unserem Geist die äußeren Reize und Bezugspunkte zu nehmen und ziehen uns nach innen zurück. Anna Trökes nennt es – Wir ziehen die Antennen ein.[1] Nach Patanjalis Beschreibung bewirkt das Zurückziehen der Sinne deren Reinigung und eine Stärkung unseres Innenlebens.[2] Auf diesem Wege öffnen wir uns für eine tiefere Wahrnehmung.

Zitat über Meditation aus "Das grosse Yoga-Buch" von Anna Trökes

Samyama–die meditative Versenkung

Die letzten drei Ebenen des Ashtanga Marga nennen wir Samyama. Samyama bedeutet in etwa „Bändigung, Zügelung oder auch Selbstbeherschung“. Schrittweise versenken wir uns in die Meditation und konzentrieren unsere Gedanken auf ein Thema. Dabei lernen wir, unsere Gedanken über einen immer längeren Zeitraum zu fokussieren. Durch die Kontrolle unserer Gedanken können wir schließlich besser unterscheiden, welche Gedanken uns weiterbringen und welche uns behindern. Wir erkennen, was unserem Körper wirklich gut tut und wie wir unser Leben gestalten sollten, damit wir uns darin wohl fühlen.

Dharana–die Konzentration auf ein Thema

Pratyahra ist in der Theorie schnell erklärt, in der Praxis jedoch ohne die sechste Ebene des achtfachen Pfades Dharana nicht möglich. Denn zumindest anfangs bedarf es einer sehr hohen Konzentration, um unsere Gedanken achtsam genau dort zu halten, wo wir sie gerade haben wollen. Um dies zu schaffen braucht die Konzentration ein Ziel, sie braucht einen Fokus. Patanjali sagt, dass quasi Alles zum Gegenstand unserer Konzentration werden kann. Eine Kerzenflamme, unser drittes Auge, unsere Atmung, ein Mantra, ein Bild, eine weiße Wand, ein Körperteil, eine Gottheit… Die Möglichkeiten sich auf etwas zu konzentrieren oder sich in etwas zu versenken sind unbegrenzt. Wichtig ist, dass wir dem gewählten Thema all unsere Aufmerksamkeit schenken, unsere Gedanken auf das Thema hin bündeln.

Dhyana–eine Verbindung entsteht

Während wir in Dharana unseren Geist auf ein Thema hinbewegen, stellen wir in Dhyana eine Verbindung zu unserem Meditationsthema oder -objekt her. Wir beginnen es zu erforschen. In der Stille der Meditation versenken wir uns derart, dass wir vom Thema eine Rückkopplung erhalten und eine tiefe Beziehung aufbauen können. Diese Verbindung ist nicht mehr durch die Wahrnehmung unserer Sinne beeinflusst. Im Zustand von Dhyana werden wir zum objektiven Beobachter, wir erkennen unser Thema so wie es wirklich ist, ohne die Verzerrungen unseres Geistes. Wir haben weder Vorstellungen, noch Erwartungen, wir sehen, was wirklich ist und nehmen es an.

Zitat aus dem Yogasutra von Patanjali

 Samadhi–der Zustand innerer Freiheit

Samadhi, also die achte Stufe und das höchste Ziel im Yoga, ist nicht einfach zu erklären. Swami Sivanda sagt,  jemandem Samdhi zu erklären sei genauso schwer, wie einem Blinden eine Farbe erklären zu wollen. Es ist schlichtweg nicht möglich[3]. Der Begriff findet in unterschiedlichen Religionen und Kulturen viele unterschiedliche Bedeutungen. Im Yogasutra mit dem Begriff Erleuchtung übersetzt, wird der Begriff auch mit Erkenntnis, Verschmelzung, der großen inneren Stille oder tiefer geistiger Versenkung in Verbindung gebracht.

In Samadhi gelangen wir noch weit über den Zustand in Dhyana hinaus. Wir gehen in unserem Meditationsthema auf, wir dringen in die feinstoffliche Hülle des Themas und werden eins mit ihm. Wir verbinden uns, unser Geist ist nur darauf ausgerichtet, was uns mit unserem Thema vereint. Nicht mehr darauf, was uns vom Objekt trennt. Es gibt nichts mehr zu kontrollieren, nichts mehr zu verstehen, wir geben uns hin und vertrauen…

Durch das Aufgehen in der Meditation erlangen wir eine tiefe Verbundenheit mit uns selbst, mit der Welt um uns herum und mit dem Göttlichen, Brahman. So erreichen wir den Zustand innerer Freiheit.

Der Weg ist das Ziel

Ich gebe zu, auch nach einiger Zeit, die ich mich selbst nun schon in Meditation übe, klingt Samadhi immer noch abstrakt für mich. Zumal ich glaube, nur die wenigsten von uns werden diesen Zustand jemals voll und ganz spüren. Aber was bedeutet das für uns? Lohnt es sich nicht, sich auf den Ashtanga Marga und die Lehren Patanjalis einzulassen? Wer aufmerksam bis hierhin gelesen hat weiß schon, dass die Antwort darauf nur „Doch, auf jeden Fall. Lauf los und mach dich auf den Weg“ heißen kann.

Der Weg des Yoga gibt uns eine Anleitung, wie wir besser mit unseren Mitmenschen und uns selbst zu recht kommen können. Yoga kann uns helfen, gesund zu leben, die Bedürfnisse unseres Körpers zu erkennen und auf diese zu hören. Wir erhalten Werkzeuge, mit denen wir uns von unserem unbeständigen Geist – zumindest ein wenig – lösen können. Wir beginnen die Dinge distanziert-objektiv zu betrachten, unsere Gefühle einzuschätzen und mit mehr Gelassenheit durchs Leben zu gehen. Und wir lernen achtsam mit uns und anderen zu sein, abzuschalten, zu entspannen, loszulassen.

Doch warum fällt es uns eigentlich so schwer, unsere Gedanken zu beruhigen? Situationen und Menschen objektiv zu betrachten und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen? Schuld daran sind die Kleshas, mit denen wir uns nächste Woche befassen.

Habt ihr eine Meditationsroutine? Ist meditieren für euch leicht? Mit welchen Schwierigkeiten habt ihr zu kämpfen und welche Art der Meditation ist die Richtige für euch und nutzt ihr Hilfsmittel für die Meditation?

Kommentiert fleißig, wir freuen uns auf eure Kommentare…

Für diesen Artikel habe ich folgende Quellen genutzt:

[1] Anna Trökes: Das große Yoga Buch, S. 27

[2] Yogasutra 2.54

[3] Swami Sivananda: Göttliche Erkenntnis

3 Replies to “Das Yogasutra für dich unter der Lupe – Teil 2

  1. Hallo, ja es fällt schwer zu meditieren man findet immer eine Ausrede, obwohl man weiß es ist gut und wichtig. Aber schließlich muss man sich in der Meditation sich selber stellen und das ist alles andere als entspannend. Ich fand Meditation sowieso noch nie entspannend eher anstrengend, obwohl ich mich oft danach leicht fühle als hätte ich eine Last abgegeben. Aber halt nicht immer, manchmal fühle ich mich auch recht mies weil ich Dinge bemerke, die ich sonst einfach wegdrücke. Ist ja gut, das weiß ich, man kann die Dinge aufarbeiten wenn sie ins Bewusstsein kommen, aber es ist eben nicht immer angenehm was da so hochkommt. Na ja eigentlich kein Wunder, dass man sich drum drückt so betrachtet…. 🙂 Ich selbst sitze auf dem Kissen, erst war es ein höheres, mittlerweile benötige ich eher eine Art Sitzerhöhung wenn ich länger sitze, besser für meine Hüften (blödes Alter …). Ich nutze verschiedene Formen der Meditation, meist beginne ich mit einem Bodyscan, hilft mir als hibbeliger Mensch zur Ruhe zu kommen, dann oft stelle ich mir Licht vor oder so etwas. Ist wirklich ganz verschieden. Der Fokus auf den Atem fällt mir persönlich schwer, ich schweife sehr oft ab, ich übe trotzdem den Atemfokus und gerade deswegen immer wieder. Das mit dem Licht klappt besser. Manchmal mag ich auch das nicht mit dem Licht, also wirklich sehr verschieden. Der Bodyscan klappt oft gut, jetzt nach Jahren kann ich jeden Teil des Körpers erspüren fast als würde ich das Körperteil berühren. Meine Vorstellungskraft hat sich extrem verbessert, neulich sagte eine Yogalehrerin eine Meditation an, in der Honig am Körper herunterfließt in der Vorstellung (und alles mitnimmt). Ich fühlte es so plastisch, dass ich es abbrach weil ich das Gefühl hatte alles klebt nur noch, regelrecht körperlich nahm ich es fast wahr das Kleben und das war unangenehm. Da konnte die Yogalehrerin nix für, alle anderen fanden es toll. Also es ist sehr individuell behaupte ich und tagesformabhängig. Leider schaffe ich es nicht wirklich eine Routine in mein Leben zu etablieren. Mittlerweile meditiere ich wann ich kann, alles andere hat mir zuviel Druck verursacht (ich muss unbedingt jeden Morgen, Abend usw.). Also gibt es Zeiten da meditiere ich viel und Zeiten da meditiere ich wenig. Kein Druck scheint mir das Wichtigste zu sein in meinem Fall. Ich muss nämlich gar nix und tue mein Bestes, das muss genügen. Diese Einstellung hilft mir persönlich sehr. Namaste.

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